Durch die Corona Pandemie sehen sich viele Unternehmen zu Umstrukturierungsmaßnahmen gezwungen. Oftmals kommen Unternehmen zu der Entscheidung, Niederlassungen an bestimmten Standorten zu schließen. Arbeitnehmern droht dann im schlimmsten Fall eine betriebsbedingte Kündigung. Alternativ kann im Rahmen einer Änderungskündigung die Beschäftigung an einem anderen Standort angeboten werden. Bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen durch eine Änderungskündigung muss sich diese auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung ausreichend ist. Ist die Tätigkeit des Arbeitnehmers grundsätzlich im Home-Office möglich und liegen die hierfür notwendigen technischen Voraussetzungen vor, kann der Arbeitgeber im Einzelfall verpflichtet sein, die Tätigkeit aus dem Home-Office vorrangig vor einer Beschäftigung an einem anderen Standort anzubieten. Dies hat das Arbeitsgericht Berlin mit Urteil vom 10.08.2020 entschieden (Az. 19 Ca 13189/19).
Hintergrund
Im Detail ist eine wirksame betriebsbedingte Kündigung von verschiedenen Voraussetzungen abhängig. Vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber unter anderem zu prüfen, ob er den zu kündigenden Arbeitnehmer anders beschäftigen kann. Daher sind dem Arbeitnehmer auch freie Stellen zu anderen Bedingungen anzubieten. Es ist zu prüfen, ob in naher Zukunft ein Arbeitsplatz frei wird oder eine Versetzung möglich ist. Sofern mehrere Betriebe in Deutschland bestehen, kann es auch erforderlich sein, an diesen anderen Standorten nach potentiellen Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen.
Die bisherige Rechtsprechung in vergleichbaren Konstellationen: Eine betriebsbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn es einen Kündigungsgrund gibt und sich der Arbeitgeber darauf beschränkt hat, solche Änderungen anzubieten, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Der Arbeitgeber hat im Rahmen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten insbesondere zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer die am wenigsten beeinträchtigende Änderung angeboten wurde. Anders als das Arbeitsgericht Berlin sieht das Landesarbeitsgericht Hessen es jedoch als Teil der freien Unternehmerentscheidung des Arbeitgebers an, ob der Arbeitsplatz sich an einem seiner Standorte oder im Home-Office befinden soll. Der Arbeitgeber müsse dem Arbeitnehmer keinen Arbeitsplatz im Home-Office anzubieten (vgl. Urteil des LAG Hessen v. 10.06.2015 – Az. 6 Sa 451/14).
Sachverhalt
Die Parteien streiten insbesondere über die Wirksamkeit einer Änderungskündigung.
Die Beklagte unterhält ihre Hauptniederlassung in Wuppertal. Die Klägerin ist in der Berliner Niederlassung der Beklagten als Vertriebsassistentin beschäftigt. Zu Jahresbeginn 2019 vereinbarte die Beklagten mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich. Darin hieß es, dass der Betrieb der Niederlassung in Berlin bis zum Ende des Jahres 2019 vollständig stillgelegt werde. Im Oktober 2019 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Kündigung und bot ihr gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses am Standort Wuppertal an. Die Klägerin hält die Kündigung sowie die angebotenen, geänderten Arbeitsbedingungen für unwirksam. Sie argumentierte unter anderem, dass die Möglichkeit besteht, die Arbeit von zu Hause aus zu erbringen. Eine Weiterbeschäftigung aus dem Home-Office wäre ein milderes Mittel gegenüber der ausgesprochenen Änderungskündigung.
Entscheidung
Die Klägerin hat mit ihrer Klage Erfolg. Das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin. Ihre Tätigkeit ist soweit digitalisiert, dass sie die auch von zu Hause aus erbringen kann. Die technische Infrastruktur liegt vor, da der Ehemann der Klägerin ebenfalls mit dieser Infrastruktur im Home-Office arbeite. Die Tätigkeit im Home-Office ist der Beklagten auch nicht fremd, da eine kollektivrechtliche Vereinbarung zum Home-Office bereits besteht. Die Beklagte wiederum hat nicht dargelegt, wieso eine physische Präsenz der Klägerin an einem ihrer Standorte notwendig sei.
Nach dem Arbeitsgericht Berlin ist die unternehmerische Entscheidung der Betriebsschließung dahingehend überprüfbar, was die konkreten Folgerungen daraus sind. Hierbei hat sich die Beklagte auf das mildeste Mittel zu beschränken. Das mildeste Mittel ist hier, die Klägerin im Home-Office arbeiten zu lassen. Auch wenn die Klägerin keinen Anspruch auf eine Tätigkeit im Home-Office hat, ist das häusliche Arbeiten bei der Beklagten üblich. „Angesichts der nunmehr deutlich stärker erfolgten Verbreitung elektronischen Arbeitens von zu Hause aus durch die Corona-Krise erscheint das Verhalten der Beklagten als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich (vgl. ArbG Berlin, aaO).“
Gegen das Urteil wurde Berufung eingelegt. Die Entscheidung ist somit noch nicht rechtskräftig.
Hinweis für die Praxis
Ob das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin Bestand haben wird, bleibt abzuwarten. Die Arbeit im Home-Office hat durch die Corona Pandemie eine verstärkte Verbreitung erfahren. Richtigerweise können derartige Entwicklungen auch den Anstoß bieten, dass die Rechtsprechung eine Änderung erfährt. Aus der Entwicklung abzuleiten, dass das Unterbleiben eines Angebots zur Arbeit im Home-Office aus der Zeit gefallen und willkürlich sei, erscheint allerdings etwas weitgehend. Die Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in dem Umfang wie ihn das Arbeitsgericht Berlin angenommen hat, erscheint ebenfalls zu weitreichend. Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, hätte sie jedoch einen erheblichen Einfluss auf die Anforderungen an die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Wir beobachten die weitere Rechtsprechung für Sie und halten Sie auf dem Laufenden.
Autorin: Steffen Linden